Die einen verteilen Kugelschreiber, die anderen regieren. So ist es in vielen Parteien. In der SPÖ regt sich jetzt Widerstand – auch mit Blick auf Deutschland
Keiner hatte damit gerechnet, dass die Genossin Daniela Holzinger eine Rebellin sein könnte. Seit wenigen Wochen sitzt die 26-Jährige für die Sozialdemokraten im österreichischen Nationalrat und hat bereits mehr aufgemuckt als andere Genossen in ihrer gesamten politischen Karriere: Sie verlangt nach mehr Mitbestimmung der einfachen Mitglieder in der Partei und möchte die verkrusteten Strukturen der Sozialdemokratie aufbrechen.
In der SPÖ von Bundeskanzler Werner Faymann kommen solche Forderungen einer Kampfansage gleich. Und die neue Parlamentarierin ist keine Einzelkämpferin. In der österreichischen Sozialdemokratie gärt es, Abgeordnete wollen plötzlich mehr sein als Stimmvieh im Parlament, einzelne Landesparteien stellen sich offen gegen die Wiener Führungsriege und die Basis verlangt nach Mitsprache.
Während sich die SPD gerade ihren Mitgliedern stellt, will die SPÖ nur den Parteivorstand über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP entscheiden lassen. Gegenwehr gibt es dort keine, Zustimmungsraten jenseits der 90 Prozent sind so gut wie sicher. Die Gremienkultur ist tief in die DNA der SPÖ eingeschrieben, die Struktur gilt als „jahrzehntelang bewährt“. Reformen? Nicht notwendig!
Als ein Wechsel im Fraktionsvorsitz der SPÖ anstand, der wie gewohnt von der Parteispitze diktiert wurde, schrieb Holzinger eine E-Mail an alle Abgeordneten. Es war ihre erste Nachricht an die Parteifreunde, von denen sie bis zu ihrer Wahl keinen einzigen persönlich kannte.
Die Studentin kommt aus Gampern, einem 2.700-Einwohner Dorf in Oberösterreich. Drei Mal in ihrem Leben war sie in Wien, bevor sie Parlamentarierin wurde. Die vermeintliche Unschuld vom Lande regte ein „internes Hearing“ über den neuen Fraktionsvorsitzenden an, als „Zeichen des Aufbruchs“. „Darüber haben alle sehr gelacht „, erzählt einer aus dem Parlament. Eine Antwort auf die Nachricht aus der Parteiführung blieb aus, keiner schrieb zurück.
Es brauche einen Wandel in der Partei, einen Aufbruch, sonst schaue die Zukunft düster aus, sagt Holzinger. Die rechtspopulistische FPÖ ist auf der Überholspur. Bei den Wahlen zum EU-Parlament könnte sie erstmals in ihrer Geschichte auf Platz eins landen und die Sozialdemokratie hinter sich lassen.
Von Erneuerung wolle die Parteiführung aber nichts wissen, seufzt die Oberösterreicherin, die Gegenstimmen seien zu wenige und zu leise – noch. „Wenn wir als Partei weiterhin die Meinung der Basis nicht hören, dann laufen wir Gefahr, weiter an Glaubwürdigkeit und somit an Rückhalt in der gesamten Bevölkerung zu verlieren!“
In den Ortsgruppen geparkt
Die SPÖ zieht eine scharfe Trennlinie zwischen jenen, die Politik machen und den anderen, den einfachen Mitgliedern, die bis zum Wahlsonntag Kugelschreiber, Feuerzeuge und Luftballons verteilen sollen und dann wieder bis zur nächsten Wahl in ihren Ortsgruppen geparkt werden.
Wer sich aber dort umhört, stößt im ganzen Land auf Unzufriedene. „In den Siebzigern forderten wir die Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche“, sagt einer, der seit 40 Jahren Mitglied ist, „aber die Partei haben wir dabei vergessen“. Andere klagen, dass sie Neuigkeiten nur aus den Medien erfahren, der Informationsfluss aus der Partei sei marginal – und eine Diskussionskultur mit der Basis sei quasi nicht existent.
Während die SPD ihren Mitgliedern zuruft: Ihr dürft mitmachen, heißt es für die Genossen im Nachbarland: „Wir müssen leider draußen bleiben.“ Wem das nicht passt, der darf gehen. Noch immer ist die SPÖ mit rund 240.000 Mitgliedern eine der größten sozialdemokratischen Parteien Europas – und sie ist konkurrenzlos in der österreichischen Parteienlandschaft, eine linke Alternative gibt es nicht.
Innerparteiliche Reformbewegungen sind stets rasch eingeschlafen. Der letzte kleinste gemeinsame Nenner ist die Ablehnung der rechten FPÖ. „Die Alternative zur SPÖ ist eine rechtspopulistische Regierung“, heißt es aus der Geschäftsstelle der Partei. Das „kokettieren mit dem Gang in die Opposition“ sei deshalb ein „gefährliches Spiel“. Die subtile Botschaft: Wir regieren um jeden Preis und wer sich gegen die Parteispitze stellt, spielt den rechten Recken um Heinz-Christian Strache in die Hände.
Bei den Wahlen Ende September erreichte die SPÖ 26,82 Prozent, das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Trotzdem reichte es für Platz eins und die zwei früheren Großparteien haben zusammen noch eine knappe Mehrheit. Inspiriert von der SPD, verlangte Anfang Oktober die Wiener Sektion 8, seit einigen Jahren eine besonders kritische Gruppe innerhalb der SPÖ, eine Urabstimmung zum Koalitionsvertrag und rief landesweit die Ortsgruppen dazu auf, sich auf einer Homepage einzutragen. „In Deutschland sind viele skeptisch, was die Urabstimmung betrifft“, sagt Nikolaus Kowall, der Vorsitzende der Sektion 8. „Ich sage dann immer: Freunde, ihr seid lustig, von euren Verhältnissen träumen wir.“
Bisher haben 114 von 3.312 Ortsgruppen unterschrieben – zu wenige, um eine Abstimmung zu erzwingen, doch die Liste könnte zur Landkarte der Rebellion werden. Wer nach potenziellen Verbündeten sucht, hat künftig ein Adressbuch kritischer Genossen zur Hand.
Keine Loyalität um jeden Preis
Während die SPD mit ihrem eigenen Programm und ihren Inhalten hadert, Seeheimer, Linke und Anti-Agenda ausbalancieren muss, entfallen diese mühsamen Prozesse für die SPÖ. Inhalte scheinen passé, und doch war man bislang vorsichtig genug, die sozialdemokratischen Werte nicht so weit hinter sich zu lassen, wie es Gerhard Schröder in seiner zweiten Regierungszeit tat. Trotzdem stehen SPD und SPÖ an einem ähnlichen Scheideweg: Will man wieder eine mitgliederbasierte Bewegung mit klaren gesellschaftlichen Vorstellungen werden oder eine Kaderpartei für karriereorientierte Berufspolitiker? Während man sich in Berlin eher für die Mitglieder entschied, biegt man in Wien in eine andere Richtung ab. Der Protest ist vorprogrammiert.
Daniela Holzinger, die Rebellin aus der Provinz, ist derweil der SPD beigetreten. Zu spät, um an der Urabstimmung teilzunehmen, aber als Zeichen für den „vorbildlichen Weg“ und eine „Art Unterstützung des offenen und transparenten Weges der Mitgliedereinbindung“, sagt sie. Und im Wiener Parlament? 4.500 Hausbesuche absolviert sie in ihrem Bezirk, besonders diesen Wählern sieht sie sich verpflichtet. Willfährige Vollzieherin von Parteiinteressen möchte sie nicht sein. „Damit müssen die nun klarkommen“, sagt sie und lacht. „Geschlossenheit in einer Partei ist wichtig, aber Loyalität um jeden Preis, das gibt es bei mir nicht.“
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