Was bewegt Martha und Gert Heizer? Die beiden Exkommunizierten aus Österreich wollen weiter um ihren Platz in der Kirche kämpfen
Christ & Welt 23/2014
Einen Tag später sitzen die beiden in ihrem Wohnzimmer in Absam, einem kleinen Ort 20 Minuten östlich von Innsbruck, und versuchen ihre Gefühle zu sortieren. „Wir sind enttäuscht, dass es mit dem neuen Papst genauso brutal weitergeht wie unter seinem Vorgänger“, sagt Martha Heizer. Die 67-Jährige lacht gerne und viel, auch heute. Fast schelmisch blinzelt sie über den Rand ihrer Brillengläser hinweg. Die Provokation macht ihr Freude, auch wenn die Sache für sie bitterernst ist. Seit zweieinhalb Jahren läuft eine kirchliche Untersuchung gegen sie. In einem dicken Aktenordner sind die Unterlagen und Briefe zu dem Fall gesammelt.
Was sie getan haben, rüttelt an den Grundpfeilern des katholischen Glaubensgebäudes und fordert den Klerus heraus: Hier im Wohnzimmer zelebrieren sie mit Freunden private Messen. Kein Priester ist dabei anwesend. Die Basiskatholiken machen es sich auf der Sitzgarnitur bequem und lesen gemeinsam die Messe. Der Tisch ist mit Blumen, Kerzen und einem Kreuz geschmückt. Niemand leitet die Zeremonie, alle sind gleichberechtigt. Sie sprechen die liturgischen Formeln für die Transsubstantiation, teilen Wein und Brot.
Die Wände in der alpinen Gottesstube sind holzvertäfelt, auf dem Tisch flackert eine Kerze. In einer Ecke lehnt eine Gitarre neben dem Notenständer. Früher war Gert Heizer Religionslehrer an einem Gymnasium, Martha Heizer war Religionspädagogin an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Inzwischen sind sie beide in Rente.
Öffentlich wurde ihr ketzerisches Tun im September 2011, als in der ORF-Sendung „Report“ eine der illegalen Messen gezeigt wurde. „Wir wollten nicht länger zur Scheinheiligkeit der Kirche beitragen“, erklärt Martha Heizer, warum sie die TV-Aufnahmen zuließ. Nach der Ausstrahlung des Berichts dauerte es nicht lange, bis das Blut der Amtskirche in Wallung geriet und ein Verfahren eingeleitet wurde. Dass es zur Exkommunikation kommen könnte, stand bereits damals im Raum.
Der Aufruhr in Tirol kam für die katholische Kirche in Österreich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Zeichen standen Ende 2011 auf Sturm: Die Pfarrer-Initiative rund um Helmut Schüller rief zum Ungehorsam gegen die Bischöfe auf. Außerdem rückte eine Laieninitiative mit Reformbegehren dem Klerus seit geraumer Zeit zu Leibe.
Und dann forderte obendrauf noch eine pensionierte Pädagogikdozentin die Amtskirche heraus und stellte die Kirchenoberen vor ein Dilemma: Nach den Paragrafen des Kirchenrechts ist die Gruppe sofort zu bestrafen. Doch kann es sich die Kirche heute überhaupt noch leisten, gläubige Christen zu verlieren?
Die Kirchengerichte entschieden sich dafür. Die Tat wog für sie offenbar schwerer als die Angst vor einem weiteren Mitgliederschwund. Der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer meinte gegenüber der „Wiener Zeitung“, das harte Vorgehen gegen die Heizers könne der Versuch der konservativen römischen Kräfte um Kardinal Gerhard Ludwig Müller, den Leiter der Kongregation der Glaubenslehre, sein, auszuloten, „was noch geht“.
Für den Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer ist das Dekret hingegen eine „Niederlage“, wie er in einer Aussendung betont. Es sei nicht gelungen, „das Ehepaar Heizer zum Umdenken zu bewegen und so das Verfahren zu vermeiden. Denn die Feststellung einer Selbst-Exkommunikation ist kein Sieg, sondern immer eine Niederlage für die Kirche.“
Die Tiroler Häretiker bleiben stur und stellen weiterhin die Trennung zwischen Klerus und Laien infrage, das zentrale Organisationsprinzip der katholischen Hierarchie. Die Renegaten aus Absam fordern, dass auch Getaufte, die sich als würdig erwiesen haben, Sakramente spenden und die Wandlungsworte sprechen dürfen. „Die Verrechtlichung gehört überdacht“, sagt Gert Heizer. „Warum dürfen nur alleinstehende Akademikermänner Sakramente spenden?“ Aussagen wie diese sind eine Kriegserklärung an Bischöfe, Kardinäle und den Papst.
Handelte es sich dabei nur um eine Handvoll Irrgeleiteter, die Kirche könnte sie ignorieren. Aber die Tiroler Zelle birgt Sprengkraft. Martha Heizer ist nämlich keine Unbekannte in katholischen Kreisen. Für viele ist sie ein Plagegeist, der der Amtskirche seit Jahrzehnten wie ein Stachel im Fleisch sitzt.
Martha Heizer saß früher einmal sogar für die Grünen im örtlichen Gemeinderat, doch die liberale Haltung ihrer politischen Freunde zur Abtreibung brachte sie auf Distanz. Deshalb verließ sie die Ökopartei wieder. „Ich kann nichts unterstützen, das gegen das Leben ist“, sagt sie.
Sie und ihr Mann bezeichnen sich selbst als „erzkatholisch“, progressiv und konservativ zugleich. Sie treten für das Ende der Diskriminierung Homosexueller und des Verhütungsverbotes ein sowie für die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe.
Bei gesellschaftspolitischen Entwicklungen hinkt das selbst ernannte heilige Land Tirol oft um viele Jahre hinterher. Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet hier die Avantgarde der innerkirchlichen Subversion wirkt und schon oft für Ärger sorgte: So nahm das Kirchenvolksbegehren von 1995 seinen Ursprung in Innsbruck. Mehr als eine halbe Million Unterschriften konnten damals gesammelt werden. Federführend mit dabei: Martha Heizer.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich damals der Reformgedanke über Europa. Der österreichischen Sektion der daraus entstandenen Plattform „Wir sind Kirche“ steht Martha Heizer heute als Vorsitzende vor. Ableger davon sind auf allen Kontinenten vertreten.
Heizer galt nie als Radikale, sondern als dialogfähig und Aushängeschild der reformwilligen Katholiken. In Diskussionssendungen im Fernsehen bot sie dem Fundi-Bischof Kurt Krenn Paroli, und mit Kardinal Christoph Schönborn, einem Duzfreund, pflegte sie stets eine gut funktionierende Gesprächsbasis.
In der Kirchencommunity ist das Ehepaar ebenfalls bestens vernetzt. Sie kennen Ortspfarrer und Bischöfe, Laienbewegungen und Ordenshäuser. Als Dozentin für Religionspädagogik an der Universität Innsbruck bildete Martha Heizer bis zu ihrer Pensionierung reihenweise Priester mit aus. Aber nicht alle sind angetan vom häretischen Treiben in Tirol. Hans Peter Hurka, ihr Vorgänger als Leiter von „Wir sind Kirche“, fragt sich, ob es klug sei, gerade jetzt, in der langsam beginnenden Neugestaltung, so aufzumucken. „Was bringt diese Provokation für eine Kirchenreform; welchen Beitrag leistet das?“, fragt er. Wenn man Änderungen möchte, müsse man ein Kooperationspartner sein. In der Kirche würden aber auf diese Art viele abgeschreckt. „So bringt man keinen Reformprozess weiter.“
Den Wiener Theologen und Religionssoziologen Paul Zulehner stört an den „Feiern im Hause Heizer deren Privatheit“, schreibt er auf seinem Blog. Eucharistiefeiern seien aber eben keine Familienfeiern. Das Kirchenrecht hätten sie eindeutig gegen sich, und „ob ihre Provokation ihrem Anliegen dient, bezweifle ich“.
Christian Weisner, Vorsitzender von „Wir sind Kirche“ in Deutschland, kritisierte die Entscheidung des Vatikans hingegen heftig. Diese Form der Frömmigkeit zu sanktionieren sei ein „typisches Relikt des Kirchenverständnisses Benedikts XVI.“, sagte er der „Welt“. Der Geist von Franziskus sei offenbar noch nicht im Kurienapparat angekommen.
In Absam läutet derweil unentwegt das Telefon. Kollegen melden sich und versichern ihre Unterstützung, Priester rufen an und laden zu Messen ein. „Wir fühlen uns nicht exkommuniziert, unser kirchliches Leben werden wir wie gewohnt weiterleben“, sagt Martha Heizer. Ihr Mann wird weiter im Kirchenchor singen, und in der Gemeinde möchten sie sich auch künftig einbringen.
Die Annahme des Exkommunikations-Dekrets verweigerte das Ehepaar. Die Einspruchsfrist von zehn Tagen werden sie ungenützt verstreichen lassen. „Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken“, zitiert Gert Heizer den Schriftsteller Erich Kästner.
Er trägt seine kleine Enkeltochter auf dem Arm, geht langsam im Wohnzimmer auf und ab und wirkt verbitterter als seine Gattin. Seinen Schülern bläute er früher stets ein, auch bei erbitterten Debatten nie den Respekt vor dem Gegenüber zu verlieren. Er bemüht sich sichtlich, seinen eigenen Worten von damals Genüge zu tun. „Der Respekt vor den Verwaltungsbehörden des Vatikans ist mir ziemlich abhandengekommen“, sagt er. „Diese Arroganz der Macht ist mir zuwider.“ Mit Priestern, die Kinder missbrauchten, werde besser umgegangen als mit ihnen, denen die Eucharistie am Herzen liege. „Die Priester werden versetzt, wir exkommuniziert. Laien gelten in der Kirche einfach gar nichts.“
Wie das Verfahren weitergeht, wissen sie nicht. Am Sonntag wollen sie wieder den Gottesdienst besuchen und sich zur Kommunion anstellen. Sie wird sie bekommen, davon ist Martha Heizer überzeugt. „Wenn nicht, dann sage ich halt ‚Du Pharisäer‘, drehe mich um und gehe wieder“, sagt sie und lacht. Ein Austritt aus der Kirche oder ein Wechsel zu den Altkatholiken komme nicht infrage. Die römisch-katholische Kirche werde sie nicht so schnell los. „Weil wir erzkatholisch sind und uns der Glaube so wichtig ist, werden wir bestraft“, sagt sie. „Und das deshalb, weil die Priester glauben, nur sie hätten eine Telefonleitung zum Heiligen Geist.“
http://www.christundwelt.de/themen/detail/artikel/die-erzkatholischen/